Die Zuckerperlenmädchen
Eine Geschichte aus dem Perlen-Märchenbuch
Es war einmal vor langer Zeit, da gab es ein fernes Land,
das vom bösen König Konformius regiert wurde. Für ihn war jeder Mensch gleich.
Individualität wurde verboten und mit dem Tode bestraft. Konformius und seine
Lakaien Din Norm und Vor Schrift schürten Angst wo sie es nur konnten.
Jedem Bürger wurde seine Arbeit zugeteilt. Niemand scherte
sich um Begabungen, Talente oder Vorlieben. Jeder musste tun, was der böse
König sagte. So errichtete er sich ein Volk kopfloser Holzsoldaten. Menschen,
die wie seelenlose Schablonen waren.
Es gab keine Farbe in diesem Land, alles war in einem
Einheitsgrau gestaltet. Die Luft war niemals vom Lachen der Kinder erfüllt,
denn niemand hatte einen Grund zu Lachen. Es gab auch keine Musik. Konformius
hatte auch sie verboten, sodass niemand aus der Reihe tanzen konnte. Das
einzige, das man ab und an hörte war das Trübsal blasen der Menschen.
Der König war nur
damit beschäftigt, alle Menschen zu überwachen, sodass er niemals Zeit für sich
hatte. Er hatte keine Frau, keine Kinder, er hatte nur: Nichts. Konformius war
in seinem tiefsten Inneren ein trauriger und einsamer Mann, der mit der Zeit
immer böser und verbitterter wurde.
In niemandem? Nun, das ist so
nicht ganz richtig. Es gab da zwei kleine Waisenmädchen, die nicht so recht in
die Welt passen wollten, in der sie lebten. Die zierliche Gitte hatte goldenes
Haar und große, runde blaue Augen, die stetig neugierig umherwanderten. Sie war
ein aufgewecktes Mädchen, das alles förmlich in sich aufzusaugen schien. Das
zweite Mädchen hieß Nadine. Sie hatte dicke, dunkle Locken, braune Kulleraugen
und ein ungezähmtes Wesen. Sie war impulsiv und furchtlos.
Die beiden Mädchen lernten sich
im Waisenhaus kennen und waren seither die aller besten Freunde. Nadine und
Gitte ergänzten sich nicht nur gut, sie waren zudem auch nicht auf den Kopf
gefallen. Sie merkten bereits früh, dass mit ihnen etwas falsch war. Oder waren
es die anderen, mit denen etwas nicht stimmte? Die Mädchen waren anderes, als
der Rest der Kinder. Und im Land von König Konformius war es sehr gefährlich
anders zu sein. Deshalb verhielten sie sich still und fügten sich ein. Nach
außen waren sie zwei brave angepasste Mädchen, aber in ihrem Inneren wuchs der
Wunsch nach Freiheit ins Unermessliche.
Deshalb schmiedeten sie eines
Tages einen Plan. Sie wollten ausbrechen, vom Weg abweichen und in den großen,
dunklen Wald flüchten. König Konformius ließ seit jeher verbreiten, dass
jenseits der Wege tödliche Gefahren lauerten und niemand jemals aus dem Wald
zurückgekehrt sein. „Ich habe Angst“, sagte Gitte mit bebender Unterlippe,
„aber selbst das ist besser als gar nichts zu fühlen.“ Die beiden Mädchen sahen
sich ruhig in die Augen und nickten. Es war beschlossen.
Am nächsten Tag
machten sich die Kinder des Waisenheims wie immer auf den Weg in die Schule.
Der Pfad führte am Wachen gesäumten Waldesrand vorbei. Und genau auf diesem
Wegstück wollten sie entwischen. Die Männer in ihren Rüstungen achteten kaum
auf die vorbeilaufenden Kinder. Schließlich hatte noch nie ein Mensch im ganzen
Reich versucht zu fliehen.
Das kam den
beiden Mädchen zugute. In einem unbeobachteten Moment sprangen sie vom
Wegesrand direkt in die dichten Büsche. Dort warteten sie erst einmal ab, ob
sie jemand beobachtet hatte. Aber niemand scherte sich um sie. Niemand rief
oder zeigte mit dem Finger auf die Stelle, an der sie im Verborgenen kauerten.
Als die anderen
Kinder vorübergezogen waren und sich auch sonst niemand mehr auf dem Weg
befand, trauten sie sich ihr Versteck zu verlassen. So schnell sie ihre kleinen
Kinderbeine tragen konnten, rannten die beiden Mädchen in den tiefen
unbekannten Wald.
....
Der zweite Teil folgt am 13. Dezember 2018!
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